Es war wohl definitiv einer meiner schönsten Flüge, die ich bis dahin erleben durfte. Von der Vogelperspektive aus konnte ich tief fliegend die magische Welt Indonesiens beobachten. Hunderte Inseln, die jedes das Klischee von Palmen, Strand und Romantik erfüllten. Von Sulawesi bis in die weit abgelegenen Molukken. Neben mir sass meine sieben Jahre alte Tochter Fiona. Wir landeten in der Hauptstadt dieses abgelegenen Archipels namens Ambon. Berühmt wurde diese Gruppe von Inseln durch die Muskatnuss. Diese war im 15. Jahrhundert mehr Wert als Gold. Die Holländer besiegten die Portugiesen im Kampf um das äusserst gewinnbringende Monopol dieses Gewürzes. Durch die Gier um Reichtum, die dieses mit sich brachte, massakrierten sie kurzum etwa 90 Prozent der einheimischen Bewohner.
Meine Tochter und ich verweilten ein paar Tage auf dieser Insel. Unser Ausgangspunkt war ein Hotel, dessen Besitzer ein Albino war. Wegen seiner äusserst heikel pigmentierter Haut, war er dazu gezwungen, sich stets im Schatten zu bewegen. Das brachte mit sich, dass er enorme Umwege in Kauf nehmen musste. Und dies in einem Klima wo die Sonne 350 Tage im Jahr scheint.
Wir waren kaum 300 km südlich vom Äquator. Ich erklärte Fiona, dass der Ablauf des Wassers hier in die enntgegengesetzte Richtung abfloss, sodass sie jeden Abend bevor wir ins Bett gingen, sie das Lavabo mehrmals mit Wasser füllte. Sie machte sich einen Spass daraus, den Abfluss zu beobachten.
Ein paar Tage später überquerten wir diese physikalische Linie in einem kleinen Flugzeug, wobei sie als Copilot assistieren durfte. Wir landeten in Ternate, diesmal 80 km nördlich vom Äquator. Und das Spiel mit dem Abfluss begann von Neuem.
Durch ihre langes blondes gelocktes Haar fiel meine Tochter hier natürlich extrem auf. Eine Seltenheit in diesen Breitengraden. Ebenso rar, wie ein Albino. Diese Vulkaninsel erfüllte vollends das Traumklischee der Südsee-Romantik. Doch unser Aufenthalt hier war, ausser in der Hauptstadt, kein einfaches Unternehmen. Der Grund – meine Tochter. Überall wohin wir kamen, strömten Frauen und Kinder aus ihren Behausungen, um uns zu beschnuppern. Ja richtig. Sie rochen uns. Traditionsgemäss beriecht man sich gegenseitig bei der Begrüssung. Dies hätte Fiona vielleicht noch über sich ergehen lassen. Doch was das Fass zum Überlaufen brachte – alle Mütter und Kinder zupften an ihrem blondem Haar. So waren wir stetig von einer Traube Menschen umzingelt. Uns blieb nichts anderes übrig, als uns wieder in den Hauptort zurück zu ziehen. Hier befindet sich auch der Palast des Herrschers.
Obwohl die Einheimischen uns berichteten, man dürfe sich nicht an diesen annähern, war für mich die Versuchung zu gross. Neugierig begaben wir uns also an die Umzäunung und versuchten den Sultan zu erspähen. Dies gelang uns auch. Er sass, zwei Diener hinter ihm, mit riesigen Fächern auf der Veranda. Wir bemerkten, dass er uns gesehen hatte und winkten ihm zu. Doch im selben Moment kam ein Wächter, der mit seiner Gestik uns klar und deutlich aufforderte zu gehen. Wir wanden uns schon ab, da rufte uns ein anderer Diener nach. Wir sollten ihm folgen, verriet uns sein Handzeichen.
Zugegeben, ein bisschen Herzklopfen hatte ich schon, als wir in den Palast eintraten. Der Diener, gebückt und demütig, den Kopf immer gesenkt. Fiona und ich, Hand in Hand, folgten ihm. Ich muss nicht erwähnen, dass dieser Moment sehr, sehr beeindruckend war. Der Sultan sass auf einer Art Podium, auf seinem Thron, umrandet mit geschnitzten, vergoldeten Ornamenten. Zwei andere Diener knieten auf Kissen auf der untersten Stufe des Podiums. Auch sie gesenkten Hauptes. Wir folgten also bedächtig „unserm“ Diener. Er klatschte in die Hände und befahl den knienden Dienern etwas. Sogleich brachte man uns zwei samtüberzogene Hocker. Ohne Worte gab uns der Sultan ein Zeichen, dass wir uns setzen sollen. Uns freundlich zulächelnd, begann er das Gespräch. „Wusstet ihr nicht, das es verboten ist, dieses Gelände zu betreten?“ und hob seinen Zeigefinger. Doch sogleich erhellte sich sein Gesicht, gefolgt von einem Augenzwinkern. Unterdessen wurde uns in vergoldeten Tassen Tee eingeschenkt. „Ihr, mit eurer westlichen Kultur!“ schüttelte den Kopf und schnaufte tief durch. Er machte einen Wink zu meiner Tochter. Liebevoll setzte er sie auf seinen Schoss.
„Es kann gar nicht anders sein, dass du mit so einer Perle nicht glücklich bist.“ und begutachtete die blonden Locken Fionas. Mit einem zärtlichen Streicheln über ihre rechte Wange fuhr er fort. “Du bist sehr sehr weit gereist. Nur ein Mann mit Mut und Gottvertrauen lässt sich auf ein solches Abenteuer ein, und Allah ist mit den Mutigen. Ich habe in Oxford studiert, besuchte Paris und Rom. Von der Schweiz höre ich Gutes. Doch glaube mir, der Okzident ist auf dem Irrweg. Gott ist nicht mehr in eurem täglichen Leben anwesend. Alles wollt ihr jetzt und sofort. Der Zeit rennt ihr nach, doch sie läuft euch davon. Die fundamentalsten Gesetze ersetzt ihr durch illusorische Wunschgedanken. Der Westen verwechselt die Liebe zum Nächsten mit Habgier zur Materie, obwohl euch bewusst ist, das diese vergänglich ist. Wenn du wieder Zuhause bist, erzähle deinen Nächsten, dass der Sultan Haji Muddaffar von Ternate diese Worte sprach.“
Wir unterhielten uns noch etwa eine Stunde, tranken den hervorragenden Tee, und Gebäcke versüssten unseren Gaumen.
Fiona sass die ganze Zeit auf seinem Schoss. Obgleich sie die Unterhaltung nicht verstand, umarmte sie ihn mit dem linkem Arm und schaute ihn ehrfürchtig an. Seine Aura war besänftigend und beruhigend zugleich, anziehend und jedes seiner Worte durchdacht.
„Es ist kein Zufall, dass deine Tochter auf meinem Schosse sitzt, so wenig wie wir auch uns in die Augen sehen. Alles ist gewollt und hat seinen Sinn. Ich hoffe, dass du, wie auch deine Tochter, ein ehrenwertes Leben führen werdet. Zum Abschied führt euch mein Diener noch an meinen Wasserfall. Geniesst noch die Frische dort. Es ist ein besonderer Ort. Ich wünsch euch noch viel Glück auf eurer Reise durch das Leben.“
Der Diener kam auf uns zu, ohne wiederum sein Haupt zu erheben, und gleiches wieder rückwärts. Ein anderer führte uns zum Wasserfall. Wir setzten uns und erfrischten unsere Füsse im Wasser. Ich bedachte noch sehr lange seine Worte. „Papa sag, dieser Mann, der Sultan, ist das der Bruder von Moses?“
„Ja“ erwiderte ich.
Am Abend, zurück in der Herberge, durfte ich von neuem wiederholt das Lavabo füllen. Diesmal verlief die Rotation des Wassers umgekehrt, also von links nach rechts.
Fiona hatte ihren Spass… und ich auch.